Eine Krebsdiagnose warf eine Familie aus der Bahn

Das vergangene Jahr hat ihr Leben von Grund auf verändert: Sabine W. hat den Krebs besiegt – doch ihre Familie ist von der Krankheit gezeichnet. Foto: Schaarschmidt

Eine Krebsdiagnose warf das Leben von Sabine W. aus der Bahn, dazu kamen im vergangenen Jahr die Scheidung und der Verlust ihres Jobs. Inzwischen kämpft die alleinerziehende Mutter um ein Stück Normalität für sich und ihre Töchter. Ein Fall für die HAZ-Weihnachtshilfe.

Was macht man, wenn man nicht weiß, ob man das nächste Weihnachtsfest noch erlebt? Ob die Kinder dann vielleicht allein sein werden, ohne ihre Mutter? Vor ein paar Monaten stand die Alleinerziehende Sabine W. vor dieser Frage. „Wo bleiben die Kinder, wenn ich nicht mehr bin? Das war meine größte Sorge“, sagt sie. „Und wie bringe ich meinen Töchtern bei, dass erst der Papa geht – und dann vielleicht die Mama?“

Schließlich sprach Sabine W. mit ihrer Mutter und hielt sie schriftlich fest, dass diese sich um ihre Kinder kümmern sollte. Im Falle eines Falles. „Ich habe nie so viel gebetet wie in der Nacht vor der Operation“, sagt sie heute.

Die Frau von Ende dreißig sitzt auf dem Sofa. In ihrem kleinen Haus hängen Fotos ihrer Kinder an den Wänden. Christstern und Mandarinenteller sind neben dem Adventskranz auf dem Tisch liebevoll zu einem weihnachtlichen Stillleben arrangiert. Eine geschmackvoll eingerichtete, gutbürgerliche Kulisse, geschaffen noch in jener Zeit, in der Sabine W. ihr altes Leben hatte. Und ehe es finanziell eng wurde. Nicht einmal ein Jahr ist das her.

Da war diese Beule am Hals

Nach der Trennung von ihrem Mann ging Sabine W. arbeiten, sie kam gut über die Runden. „Alles hat wunderbar funktioniert“, sagt sie. Bis sie eines Morgens aufwachte und diese Beule am Hals hatte. Zuerst gingen die Mediziner davon aus, es sei eine Zyste. „Doch als die Ärztin mir dann sagte, ich solle mich erst mal setzen, wusste ich gleich, dass etwas nicht in Ordnung war“, sagt sie. Die Diagnose traf sie wie ein Schlag: „Das war eine Metastase – Sie haben Krebs.“

Wie gibt man so eine Diagnose an seine Kinder weiter? Der jüngeren Tochter gegenüber vermeidet Sabine W. das Wort „Krebs“ bis heute. Aber natürlich hat auch die Grundschülerin schon mitbekommen, was passiert ist. Dass ihre Mutter einen Tumor im Hals hatte. Dass es Komplikationen bei der Operation gab. Und dass Mama lange, lange Zeit immer nur auf dem Sofa lag und nichts tun konnte.

Sieben Wochen lang dauerten Cheomo- und Strahlentherapie. Sabine W. zögert kurz, ehe sie den Kraftausdruck verwendet: „Ich hab das beschissen vertragen“, sagt sie. Sie verlor Haare, die Haut am Hals verbrannte, vor Schmerzen konnte sie nicht schlucken und essen. Noch immer nippt sie oft am Wasser, weil sich in ihrem Mund nicht genug Speichel bildet. Ihren Geschmackssinn hatte sie zeitweise komplett eingebüßt: „Anfangs konnte ich Banane nicht von Bratwurst unterscheiden – das wird langsam besser“, sagt sie. Binnen weniger Monate verlor sie mehr als 20 Kilo Gewicht. „Alte Bekannte laufen auf der Straße an mir vorbei, weil sie mich nicht erkennen“, sagt sie.

Dazu kamen weitere Schläge: Die Scheidung von ihrem Mann – seit Jahren leben sie getrennt – wurde rechtskräftig. Als es ihr besonders dreckig ging, musste sie sich mit Sorgerechtsangelegenheiten und Unterhaltszahlungen befassen. „Das kam noch obendrauf“, sagt sie. Und dann, noch während der Therapien, bekam sie die Kündigung von ihrem Arbeitgeber. Per Einschreiben. „Juristisch alles rechtens“, sagt Sabine W., „aber mir hat es doch weh getan.“

Die Angst ist geblieben

Seit der Reha im Sommer kämpft die alleinerziehende Mutter sich allmählich zurück ins Leben. „Wenn ich Wäsche die Treppe hochtrage, schnaufe ich noch immer wie eine alte Frau – doch es geht aufwärts“, sagt sie. Der Krebs ist besiegt, doch regelmäßig muss sie nun zu Untersuchungen gehen. Und die Angst ist geblieben.

Ihre Töchter seien anhänglicher geworden im vergangenen Jahr, sagt Sabine W. Als sei in ihnen die Furcht erwacht, sie könnten ihre Mutter verlieren. Die kleine Familie sei traumatisiert durch die Erkrankung, sagt die Sozialarbeiterin, die sie betreut. Die Töchter sind mittlerweile in Therapie bei einem Kinder- und Jugendpsychologen.

Auf Sozialleistungen sei sie nie angewiesen gewesen, sagt Sabine W. Inzwischen bekommt sie Arbeitslosengeld II. Möglichst schnell möchte sie finanziell wieder auf eigenen Füßen stehen, einen neuen Job finden, am liebsten in Teilzeit: „Ich schreibe Bewerbungen wie wild“, sagt sie. Bislang ohne Erfolg. „Dabei möchte ich einfach meinen Alltag zurück haben.“

Große Sprünge kann sie nicht machen. An einen Urlaub ist nicht zu denken, obwohl der Familie gemeinsame Erlebnisse gut täten. „Es ist nicht einmal drin, dass wir für ein Wochenende zusammen wegfahren“, sagt die Mutter. „Wenn die Kinder Schulausflüge machen, muss ich das früh genug wissen, damit ich etwas Geld zurücklegen kann.“

Ihre Töchter haben kürzlich ihre Zimmer umgestaltet. Es ist auch ein Versuch, ihr Leben wieder neu zu ordnen, es in die eigenen Hände zu nehmen und selbst zu gestalten. Das habe ihnen gut getan, sagt Sabine W. Jetzt wünschen ihre Kinder sich neue Kleiderschränke. Besondere, von Ikea. Das könnte wie eine kleine Entschädigung für das vergangene Jahr sein.

Hier direkt spenden!

 

Author: Jan Sedelies

Teile diesen Beitrag auf

Jetzt mithelfen!

Jeder Euro zählt