
Sabine May hat es nie leicht gehabt. Heute wird ihr Leben von heftigen Migräneanfällen überschattet, arbeiten kann sie nicht. Trotzdem versucht sie alles, um ihrem von Autismus betroffenen Sohn ein gutes Leben zu bieten. Ein Fall für die HAZ-Weihnachtshilfe.
Es ist, als hätte ihr Leben von Anfang an unter keinem guten Stern gestanden. „Mein Vater war Alkoholiker“, sagt Sabine May (Namen geändert). „Er war nicht gut zu meiner Mutter.“ Sie erzählt, wie ihre Geschwister einmal mit Polizeischutz aus dem Haus geholt werden mussten. Und davon, dass ihre Mutter unter Ängsten gelitten habe und oft überfordert gewesen sei.
„In der Schule wurde ich häufig gehänselt“, sagt die 38-Jährige. Als Jugendliche habe sie sich zeitweise danach gesehnt, in ein Heim zu kommen, um den schwierigen Verhältnissen zu entrinnen. In einem einzigen Satz kann sie ihre Kindheit zusammenfassen: „Es war keine leichte Zeit.“
Zitat: Bei ganz starken Attacken liege ich ein bis zwei Tage wie gelähmt im Bett und kann kaum sprechen.
Sabine May,;Migränepatientin
Sabine May sitzt auf dem Sofa in ihrer Wohnung irgendwo in der Region Hannover. Das schlicht eingerichtete Wohnzimmer ist mit Kerzen und Pflanzen dekoriert. Doch an den kahlen Wänden finden sich kaum Bilder oder Familienfotos. Als ob es da keine Vergangenheit gäbe, keine erinnerungswürdigen Momente, die sie festhalten wollte.
Reihe von Schicksalsschlägen
Die schlanke Frau spricht schnell, wenn sie von ihrem Leben erzählt. Als hätte sie Angst, etwas Wichtiges auszulassen. Die wortgewandte 38-Jährige reflektiert ihre Situation sehr genau. Sie weiß, dass ihre Vita sich wie eine einzige Abfolge aus Schicksalsschlägen, Krankheiten und Problemen anhört, die aus schwierigen Verhältnissen erwachsen.
Sabine May wollte einen Realschulabschluss machen, entwickelte aber eine Essstörung und verbrachte als Teenagerin Monate in einer Klinik. Später fing sie eine Ausbildung zur Tischlerin an. „Ich musste sie aber abbrechen, weil ich Depressionen bekam“, erzählt sie.
Später arbeitete sie mal in einem Callcenter, mal im Pflegebereich. Und immer wieder gab es depressive Phasen. „Ich bin auch in falsche Kreise geraten“, sagt sie, ohne auf Details einzugehen. Als sie bedroht worden sei, habe sie Zuflucht in einem Frauenhaus gefunden. Insgesamt 18-mal sei sie bisher umgezogen. Ein unstetes Leben.
Tumor wurde operiert
Als sie eine Partnerin fand, schien ihr Alltag in geordnete Bahnen zu geraten. Drei Jahre waren sie zusammen. In dieser Zeit habe sie in einem Elektronikbetrieb an Schaltschränken gearbeitet. „Eine Vollzeitstelle, die mir Spaß gemacht hat – ich war glücklich“, sagt sie im Rückblick.
Eine Ausbildung in diesem Bereich konnte sie jedoch nicht beenden. „Ich bekam eines Tages unerträglich starke Schmerzen, schließlich wurde ein Tumor im Bauch festgestellt“, sagt sie. Nach einer Operation musste sie die Ausbildung abbrechen. Auch die Beziehung zu ihrer Partnerin zerbrach.
Über das Internet lernte sie schließlich einen Mann kennen und wurde schwanger. Das Verhältnis habe sich aber zunehmend problematisch entwickelt. Seit Jahren hat sie zum Vater ihres Kindes fast keinen Kontakt mehr. Ihr Sohn Martin, den sie alleine erzieht, ist heute zehn Jahre alt.
„Ich bin wie gelähmt“
Beider Leben wird von einer tückischen Krankheit überschattet: Sabine May leidet unter heftigen Migräneanfällen. „Ich habe an jedem zweiten Tag Kopfschmerzen“, sagt sie, „bei ganz starken Attacken liege ich ein bis zwei Tage wie gelähmt im Bett und kann kaum sprechen.“
Martin musste früh selbständig werden. „Ich bin froh, dass er sich selbst Frühstück machen kann, wenn es mir nicht gut geht“, sagt die Mutter. An ganz schlechten Tagen sei zudem eine Tante da, die sich um das Kind kümmere.
Eine Psychologin hat bei Martin Autismus diagnostiziert. Er könne nicht gut einschätzen, wie viel Nähe oder Distanz zu anderen angebracht sei, sagt seine Mutter. Außerdem habe er es in Alltagssituationen manchmal schwer und leide unter Tics und Zwängen. „In der Therapie macht er sich aber richtig gut“, sagt Sabine May.
Stolz auf ihren Sohn
Man spürt, wie stolz die Mutter auf ihr Kind ist, dem sie so gerne ein gutes Vorbild sein möchte. „Ich will für Martin da sein, ihm vorleben, dass man sich durch Arbeit etwas leisten kann – und ich wünsche mir so, dass er etwas von der Welt sehen kann“, sagt sie.
Leicht hat sie es dabei nicht. Sabine May lebt vor allem von dem Geld, das sie vom Jobcenter bekommt. „Ich bin wegen der Migräne praktisch arbeitsunfähig“, sagt sie. Wenn sie Kleidung kauft, dann meist beim Discounter. Ihre Möbel sind aus zweiter Hand. Und im Urlaub waren sie und ihr Sohn noch nie.
„In Martins gesamten Stammbaum ist noch nie jemand mit dem Flugzeug geflogen“, sagt Sabine May. Dabei wünsche sich der Junge so sehr, einmal Fische in einem klaren Gebirgssee zu sehen. „Er ist richtig gerne in der Natur“, sagt sie, und für einen Moment huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. „Wenn er glücklich ist, bin ich es auch“, sagt sie dann.
Kürzlich mussten sie umziehen. Ihre alte Wohnung war im Dachgeschoss, und die Hitze im Sommer hatte ihre Migräne noch verstärkt. In der neuen Wohnung mussten sie ein Kinderbett kaufen, neuen Fußboden verlegen und eine hohe Mietkaution stellen. Investitionen, die sie finanziell an die Grenze des Machbaren geführt haben.
Manchmal weiß Sabine May nicht, wie es weitergehen soll. „Ich hoffe, dass alles irgendwie besser wird“, sagt sie. „An irgendetwas muss man doch glauben.“
Von Simon Benne



