Er hat als selbständiger Handwerker gearbeitet – doch heute reicht die Rente nicht mal für ein Hörgerät

Er war ein Kriegskind. Als er klein war, musste er Nächte im Luftschutzkeller überstehen. Und er kann sich noch daran erinnern, wie er später an der Hand seiner Mutter in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus der Ostzone über die Grenze in den Westen flüchtete.

Sein Vater war nach der Kriegsgefangenschaft in Hannover gelandet. Horst Barganz (Name geändert) wuchs hier in einem Lager am Stadtrand auf. „Wie ärmlich wir lebten, habe ich gar nicht empfunden“, sagt der 84-Jährige, „ich hatte eigentlich eine schöne Kindheit.“

In einem Fotoalbum verwahrt er alte Aufnahmen von früher. Die Baracke, in der er mit Eltern und Geschwistern damals lebte. Seine Konfirmation 1955. Ein Klassenbild aus der Volksschule; die fast 50 Kinder passen kaum auf das Foto.

Ein gutbürgerliches Leben

Nach der Schule machte er eine Lehre zum Tischler. „Jeden Morgen fuhr ich 20 Kilometer mit dem Fahrrad in die Werkstatt, bei Wind und Wetter“, sagt er.

In der Ecke tickt eine Standuhr, als der gemütlich wirkende Handwerker von seinem Leben erzählt. Im Eichenregal stehen Bücher, auf dem Holztisch Adventskerzen. An der Wand hängt zwischen Familienfotos eine Schützenscheibe. „Dort, wo wir früher lebten, war ich mehrmals Schützenkönig“, sagt er.

Seine Einrichtung stammt noch ganz aus jener gutbürgerlichen Welt, in der er einst zu Hause war. Die Kulisse eines Stücks, das nicht mehr auf dem Spielplan steht. Denn die Geschichte von Horst Barganz erzählt von Aufstieg und Fall. Von einem Mann, der sich mit Fleiß emporarbeitet – und einen großen Teil seines Wohlstandes wieder verliert. „Ich stand einmal auf der Sonnenseite des Lebens“, sagt er selbst.

Erfolg als Unternehmer

Nach seiner Ausbildung bildete er sich zum Bautechniker fort. Bei verschiedenen Firmen arbeitete er, und wenn er in seinem Metier keine Stelle fand, fuhr er Taxi oder lieferte Möbel aus. Er leitete auch eine große Baustelle.

In den Siebzigerjahren wagte er dann den Schritt in die Selbständigkeit. Er machte sein eigenes kleines Bauunternehmen auf. Und er hatte Erfolg. „Zeitweise hatte ich mehrere Mitarbeiter“, sagt er, „wir konnte uns etwas leisten.“

Horst Barganz erzählt von dem Mercedes, den er damals fuhr. Von dem Haus auf Mallorca, das sie sich kauften. Von schönen Reisen und großen Bauaufträgen. Er spricht mit Stolz darüber, dass er einst große Räder gedreht hat.

Er erzählt aber auch davon, wie zwei Ehen scheiterten. Seine dritte Frau starb von einigen Jahren. Sie fehlt ihm, er spricht oft von ihr. Und er spricht von den vielen Krankheiten, die sein Leben erschütterten.

Vor 14 Jahren wurde bei dem Vater von vier erwachsenen Kindern erstmals Krebs diagnostiziert. Er überstand mehrere schwere Operationen. Später forderten zwei Schlaganfälle ihren Tribut. Das Alter spüre er zunehmend: „Ich merke, dass ich nicht mehr viel Kraft habe“, sagt er.

Verlorener Wohlstand

Es gibt nicht den einen entscheidenden Grund, warum ihm vom Wohlstand früherer Tage wenig geblieben ist. Ein ganzes Bündel von falschen Entscheidungen und Fehlschlägen hat dazu beigetragen, dass der 84-jährige heute als Rentner finanziell an Grenzen stößt.

Horst Barganz erzählt davon, dass Bauherren, für die er arbeitete, pleite gingen und ihn auf den Kosten sitzen ließen. Er erzählt von juristischen Auseinandersetzungen und von Finanzberatern, die ihm windige Geldanlagen aufschwatzten. So verlor er Teile seines Vermögens.

Zur Wahrheit gehört wohl auch, dass Horst Barganz als Handwerker tüchtiger war als als Geschäftsmann. „Ich habe viele Fehler gemacht“, sagt er selbst im Rückblick kritisch. Irgendwann gab er sein Geschäft auf. Das Haus musste er verkaufen, weil er die Hypotheken nicht mehr bezahlen konnte.

Die Rente reicht nicht

Heute lebt der ehemals erfolgreiche Unternehmer in einem kleinen Anbau am Haus seiner Tochter. „Mietfrei, ich bezahle nur die Nebenkosten“, sagt er. Im Alter rächt sich, dass er – wie viele Selbständige – kaum in die Rentenkasse eingezahlt hat.

Die Zahlen hat er genau im Kopf: Er rechnet vor, dass er weniger als 1200 Euro im Monat bekommt. Und dass eine kostspielige Krankenversicherung davon fast die Hälfte gleich wieder verschlingt. Abschlossen hat er sie in besseren Zeiten. Noch so eine Entscheidung, die er heute bereut. Denn zum Leben bleibt ihm so nicht viel.

„Meine Ansprüche sind nicht groß, ich habe eigentlich alles, was ich brauche“, sagt der 84-jährige bescheiden. Vor einiger Zeit jedoch brachen ihm mehrere Zähne aus. Er musste sich in der Familie Geld für die teure Behandlung leihen.

Die Sozialarbeiterin, die ihn begleitet, stellte bei der HAZ-Weihnachtshilfe außerdem einen Antrag auf einen Zuschuss für ein Hörgerät. Solche Ausgaben kann Horst Barganz nicht aus eigener Kraft stemmen. Derzeit hat er mehr als 3000 Euro Schulden, die er gerne zurückzahlen möchte. Am Ende seines Lebens, das von großen Höhen und Tiefen geprägt war, möchte er eine saubere Bilanz vorlegen. „Ich habe ja nur noch ein paar Jahre“, sagt er.

Von Simon Benne

Author: Jan Sedelies

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