
Die kleine Rente von Helene Linze reicht kaum zum Leben. Nach dem Tod ihres Mannes war Hündin Lucy der größte Trost der Seniorin – dann wuchsen ihr die Kosten für den Tierarzt über den Kopf. Ein Fall für die HAZ-Weihnachtshilfe.
Wenn in einem Film die Rolle einer freundlichen Großmutter besetzt werden müsste, wäre sie die Idealbesetzung. Helene Linze (Name geändert) ist eine kleine, gemütliche Dame mit grauen Haaren, die meist lächelt und oft herzlich lacht. Dass sie schon 78 Jahre alt ist, sieht man der agilen Senioren nicht an. Und dass ihr Leben nicht immer leicht ist, lässt sie sich nicht anmerken.
In einem Dorf bei Hannover wuchs sie mit vier Geschwistern als Tochter eines Schusters auf. Nachdem ihre Eltern sich getrennt hatten, zog ihre Mutter die Kinder alleine groß. „Ich hatte aber eine schöne Kindheit“, sagt sie selbst.
Nach der Schule arbeitete sie als Schuhverkäuferin. Und bald lernte sie den Mann kennen, mit dem sie fast 60 Jahre lang verheiratet bleiben sollte. „Als ich 17 war, wurde unser Sohn geboren“, sagt sie. Das Paar hatte vorher noch rasch geheiratet, ihre Ausbildung schloss Helene Linze nicht mehr ab. Einige Jahre darauf kam dann die Tochter zur Welt.
Dann kommen ihr die Tränen
Die alte Dame sitzt im Sessel, als sie in ihrer Wohnung irgendwo in der Region Hannover von ihrem Leben erzählt. Alles ist blitzsauber; Häkeldeckchen und Kerzen zieren die Tische. Auf der Fensterbank stehen Pflanzen, an den Wänden hängen Bilder aus vergangenen Zeiten.
Ein Foto zeigt sie selbst als junge Mutter mit ihren Kindern, daneben steht ihr Mann – ein gut aussehender, kräftiger Mensch. Auf einem anderen Bild ist eine niedliche Hündin zu sehen. „Das ist Lucy“, sagt Helene Linze – und dann versagt ihr die Stimme.

Sie wischt sich eine Träne ab und erzählt weiter. „Eigentlich habe ich immer gearbeitet, nachdem die Kinder aus dem Gröbsten heraus waren“, sagt sie. Ihr Mann hatte eine Stelle in einer Heizungsfirma, sie selbst verkaufte Schuhe in einem großen Geschäft, bis sie vor einigen Jahren in Rente ging.
„Niemals große Sprünge“
Hoch bezahlt waren beide Berufe nicht. „Wir konnten nie große Sprünge machen“, sagt sie. An drei Urlaube erinnert sie sich, in der Türkei und Italien. „Das war es auch schon.“ Sie klingt jedoch nicht, als hätte sie ihr Leben als entbehrungsreich empfunden.
Schwer wurde es erst, als ihr Mann begann, sich zu verändern. „Er fand Wege nicht mehr, ließ Dinge liegen und konnte sich an vieles nicht mehr erinnern“, sagt sie. Manchmal musste sie ihn suchen gehen, weil er nicht nach Hause fand. Immer tiefer versank er in der Demenz.
Als er in seiner Hilflosigkeit aggressiv wurde, wusste sie keinen anderen Ausweg, als die Polizei zu rufen. „Es war furchtbar, als ich ihn danach im Krankenhaus besuchte“, sagt sie. „Er hat so sehr geweint.“ Erneut kommen ihr die Tränen, als sie sich daran erinnert. Sie blickt hinüber zum alten Foto an der Wand, als würde sie vergeblich versuchen, das Bild des jungen Mannes dort mit dem Bild des kranken, alten in Einklang zu bringen.
Die Rente reicht nicht
„Solange es ging, habe ich ihn bei mir behalten“, sagt sie. „Manchmal frage ich mich, ob es richtig war, ihn ins Heim zu bringen.“ Man spürt, dass sie sich Vorwürfe macht – obwohl sie selbst am besten weiß, dass es keine andere Lösung gab. „Jeden Tag habe ich ihn mit dem Hund im Heim besucht“, sagt sie, „und heute bin ich froh, dass ich das gemacht habe.“
Nachdem ihr Mann gestorben war, wurde Hündin Lucy das wichtigste Gegenüber für Helene Linze. „Dieser liebe, verschmuste Hund war genau das, was ich brauchte“, sagt sie. „Lucy hat mich getröstet, sie war mein Ein und Alles.“
Finanziell ist Helene Linze nicht auf Rosen gebettet. Sie bekommt nur eine kleine Rente und Witwenrente, zusätzlich ist sie auf Grundsicherung angewiesen. „Ich komme schon zurecht, anderen geht es noch viel schlechter“, sagt sie, wenn man sie danach fragt. Dann rechnet sie vor, dass man auch mit 100 Euro in der Woche gut über die Runden kommen kann. Sie gehört zu einer Generation, die das Klagen nicht gelernt hat und die gut darin ist, zurückzustecken.
Diagnose: Krebs
Doch dann kam sie in eine Situation, in der sie alle Sparsamkeit über Bord warf. Lucy wurde krank. Eine Tierärztin diagnostizierte Krebs. „Wir haben es mit Spritzen und Tabletten probiert“, sagt Helene Linze. „In einer solchen Lage will doch man nichts unversucht lassen.“
So kam eine Rechnung zur anderen – bis Kosten von insgesamt 2000 Euro aufgelaufen waren. „Die Behandlung des Hundes hat Frau Linze finanziell an ihre Grenze gebracht“, sagt die Sozialarbeiterin, die sie begleitet.
Geholfen hat es nicht. Vor einem Jahr musste sie Lucy einschläfern lassen. „Sie starb in meinen Armen“, sagt die Seniorin – und wieder schießen ihr Tränen in die Augen. Im Regal hat sie ein kleines Gefäß mit ein wenig Fell von Lucy. Das ist ihr geblieben.
Helene Linze steht mitten im Leben. Regelmäßig trifft sie andere Senioren beim Frühstück in einer sozialen Einrichtung, sie pflegt Kontakte. Und sie führt den Hund einer Nachbarin aus. „Ich selbst will mir keinen mehr anschaffen“, sagt sie.
Die Tierarztrechnungen hat sie bezahlen können, aber das Geld fehlt ihr jetzt im Alltag. Fragt man, was sie sich wünscht, muss sie kurz überlegen. „Mein Elektroherd funktioniert nicht mehr richtig, ich bräuchte eigentlich einen neuen“, sagt sie. Es ist der bescheidene Wunsch einer bescheidenen Frau.
Von Simon Benne



