Eine Fallgeschichte: „Was am Ende übrig bleibt“

Ein Hund als Trostspender. Rüdiger Knoll braucht Hilfe. (Foto: Katrin Kutter)

Ein Hund als Trostspender. Rüdiger Lamkowsky braucht Hilfe. (Foto: Katrin Kutter)

Rüdiger Lamkowsky* Lebensinhalt und treuester Begleiter ist Benno. Den 16 Jahre alten Schäferhund hat er einst mit der Flasche groß gezogen, und für sein Tier quält er sich täglich aus dem Haus, um mit ihm Gassi zu gehen – obgleich das Gehen sehr schmerzhaft für ihn ist. Der 60-Jährige hat viel in seinem Leben gearbeitet, er war sich für keinen Job zu schade, aber jetzt kann er nicht mehr. Rüdiger Lamkowsky ist aufgrund mehrerer schwerer Erkrankungen arbeitsunfähig und auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen, und weil er nicht mehr arbeiten kann, ist er in die Schuldenfalle geraten.
„Ich dachte, ich könnte irgendwann doch wieder arbeiten und alles bezahlen“, sagt der gelernte Heizungsbauer. So aber steht er mit etwa 3000 Euro plus Zinsen bei einem Energieversorger und zwei Telekommunikationsunternehmen in der Kreide. Keines jedoch will die kleinen Raten, wie Lamkowsky sie zahlen könnte, akzeptieren. Eine Schuldnerberaterin des Diakonischen Werks bemüht sich seit Längerem um einen Vergleich mit den drei Gläubigern, was diese jedoch ablehnen. „Das Problem ist, dass die Schulden wegen der Zinsen weiter steigen“, sagt Schuldnerberaterin Angelika Krack.
Rüdiger Lamkowsky wuchs mit drei Geschwistern im Umland von Hannover auf, als er 14 Jahre alt war, kam sein Vater bei einem Arbeitsunfall ums Leben. Er verließ das Elternhaus früh und lernte Heizungsbauer. Eine solide berufliche Basis, so schien es. Aber schon im Alter von 40 Jahren erkrankte er an Magenkrebs, ein Teil des Magens musste ihm damals entfernt werden. „Ich kam überhaupt nicht mehr auf die Beine, weil ich so viel Gewicht verloren hatte“, erinnert sich der 60-Jährige. In dieser Zeit ging auch die langjährige Beziehung zu seiner Lebensgefährtin in die Brüche.
Nach einem Jahr fing er wieder an zu arbeiten, aber nicht in dem erlernten Beruf. „Das konnte ich nicht mehr“, bedauert Lamkowsky. Er wurde Maschinenführer in einem Gemüsegroßhandel, fuhr eine schwere Sortier- und Fördermaschine, für ihn eine spannende Zeit. Vier Jahre später erhielt er die Kündigung, weil der Unternehmer seinen Betrieb verkleinern wollte. Es folgten Jahre mit weiteren Jobs, wieder bei einem Gemüsegroßhandel, später auch bei einem Glas- und Gebäudereiniger, der auf Großbauten spezialisiert war. Schon 2008 begannen seine Rückenprobleme.
2012 erlitt der zurückhaltende Mann mit der leisen Stimme einen Schlaganfall, 2013 einen Herzinfarkt. Beides überwand er, aber mit der Folge, dass er nur noch Aushilfstätigkeiten ausüben konnte. In einem Restaurant nahm er Waren entgegen, fegte den Hof, kümmerte sich um das, was gerade anfiel. 2014 versagten schließlich seine Beine, Diagnose: Gefäßverschluss. Zunächst halfen noch kleine Röhrchen, sogenannte Stents, die verschlossenen Gefäße wieder zu öffnen, vergeblich. 2015 musste er sich einer Bypassoperation unterziehen, um die verengten Schlagadern zu überbrücken. „Danach musste ich das Gehen regelrecht wieder lernen“, sagt Lamkowsky.
Außerdem waren seine Rückenschmerzen Jahr für Jahr schlimmer geworden. Ein Orthopäde diagnostizierte mehrere verrutschte Wirbel und verordnete ein spezielles Wirbeltraining. Es schlug jedoch nicht an, nach jeder Therapiesitzung ging es Rüdiger Lamkowsky schlechter als vorher, manchmal konnte er danach kaum noch laufen. Er brach es ab. Jetzt hat er die Wahl zwischen einer Wirbelsäulenoperation oder einer medikamentös gestützten Schmerztherapie. Einen Termin bei einem Schmerztherapeuten hat er nach langer Wartezeit endlich erhalten, darauf ruht jetzt seine ganze Hoffnung. Eine Perspektive aber, auf absehbarer Zeit wieder einen Job zu finden, sieht der 60-Jährige nicht. „Was soll ich machen? Ich kann auf keine Leiter mehr steigen und nicht mehr als drei Kilogramm heben. Schon wenn ich mich bücken muss, bekomme ich Probleme“, sagt der Mann resigniert, der sich beim Gehen auf einen Stock stützen muss. Seine Wohnung hält er so gut es geht sauber und ordentlich.
Über all diese Schicksalsschläge ist Rüdiger Lamkowsky depressiv und mutlos geworden. Ihm fehlt der Antrieb, deshalb hat sich vor wenigen Wochen auf eigenen Wunsch um eine Betreuung bemüht. Er braucht vor allem Hilfe bei der Bewältigung seiner Behördenangelegenheiten. So läuft seit zwei Jahren eine Klage auf Erwerbsunfähigkeitsrente. Hier erhofft er sich ebenso die tatkräftige Unterstützung seines künftigen Betreuers wie bei der Beantragung einer Pflegestufe oder der Suche nach einer neuen Wohnung. Seine jetzige ist zugig und fußkalt, der Vermieter unternehme nichts, um für Abhilfe zu sorgen, sagt Rüdiger Lamkowsky.
Aber selbst wenn die Erwerbsunfähigkeitsrente bewilligt und später die reguläre Rente gezahlt würde, bleibt die finanzielle Schieflage. Seine Rente wird knapp 600 Euro betragen. „Und das, obwohl ich über die Jahre so viele Überstunden und Wochenenddienste geschoben habe“, klagt Lamkowsky.
Auf die Frage, welches die schönste Zeit in seinem Leben gewesen sei, antwortet der Hundebesitzer: „Benno aufwachsen zu sehen.“ Das Fell des außergewöhnlich großen Hundes mit dem hübschen Gesicht ist zwar schon struppig und sein Gang etwas steifbeinig. Aber sein Herrchen hofft, dass er noch möglichst lange leben wird. „Der Tierarzt meint, dass Benno 18 Jahre alt werden könnte“, erzählt Rüdiger Lamkowsky. Obwohl ihm das tägliche Gassigehen, trotz gelegentlicher Hilfe eines Nachbarn, zunehmend schwerer fällt. „Einmal ging es mir so schlecht, dass ich ihn schon abgeben wollte.“ Aber das brächte er dann doch nicht übers Herz. „Benno ist der treueste Hund, den man sich vorstellen kann.“
*Name geändert

Author: Jan Sedelies

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