Ein Fall für die Weihnachtshilfe: „Ich muss jeden Cent zweimal umdrehen“

Nathalie P. ist alleinerziehende Mutter von vier Kindern, eins hat das Down-Syndrom. Sie braucht Hilfe. Foto: Samantha Franson

Nathalie P. ist alleinerziehende Mutter von vier Kindern, eins hat das Down-Syndrom. Sie braucht Hilfe. Foto: Samantha Franson

Seine Augen sahen irgendwie seltsam aus. Und mit der Herzfrequenz ihres Neugeborenen war etwas nicht in Ordnung. Nach einer Woche sagten ihr die Ärzte, dass ihr Sohn „nicht normal“ sei. „Das Wort ,Down-Syndrom’ hatte ich bis dahin noch nie gehört“, sagt Nathalie P., „und jetzt hatte ich plötzlich selbst ein Kind mit Trisomie 21.“ Es folgten unzählige Therapien, Arztbesuche, der Kampf um optimale Förderung. Bis zur vierten Klasse trug ihr Sohn eine Windel. „Jetzt ist er elf, und sprachlich entwickelt sich erst jetzt so richtig“, sagt die 32-Jährige. „Alles dauert bei ihm länger, er braucht viel Aufmerksamkeit.“
Nathalie P. sitzt daheim, im Wohnzimmer, in dem sie auch schläft. An den Wänden hängen Kinderfotos und selbstgemalte Bilder aus der Schule. Die Tapete ist abgestoßen, doch überall herrscht eine fast penible Ordnung – auch in den beiden kleinen Zimmern, die ihre vier Kinder sich jeweils zu zweit teilen. Wenn Nathalie P. über sie redet, strahlt ihr Gesicht. Inzwischen besucht ihr behinderter Sohn eine ganz gewöhnliche Regelschule, und in der Klasse werde er voll akzeptiert: „Meine Kinder stehen bei mir an erster Stelle“, sagt sie: „Sie sind mein großes Glück.“
Würde man es rein finanziell sehen, wären die Kinder vor allem der Grund für ihre Misere. Familie ist zwar für viele der Inbegriff von Erfüllung; die Familie gilt vielen nicht nur zu Weihnachten als heilig. Zugleich jedoch stellen Kinder bei nüchterner Betrachtung oft ein Armutsrisiko dar, besonders für Alleinerziehende. Familie bedeutet Bindung, in jeder Hinsicht. Nathalie P. kennt beide Seiten. Weil sie ihre Familie hat, ihre vier Kinder, ist sie finanziell in Not. Einerseits. Doch weil sie ihre Familie hat, ihre Geschwistern und Eltern, die sie oft unterstützen, kann sie ihr Leben überhaupt irgendwie bewältigen: „Ohne sie würde ich das alles gar nicht schaffen“, sagt sie.
Nach ihrem behinderten Sohn wurde die Tochter geboren, die heute neun Jahre alt ist. Sie versucht der Mutter zu helfen, wo sie kann: „Oft muss ich sie bremsen, damit sie einfach Kind sein darf“, sagt Nathalie P. Derzeit wiederholt die Tochter ein Jahr in der Grundschule: „Da war einfach zu viel, was ihr kleiner Kopf verarbeiten musste“, sagt sie – und erzählt von der Trennung.
Ihr Mann arbeitete in einer anderen Stadt und kam nur am Wochenende heim. Die Ehe kriselte. Dann wurden als drittes und viertes Kind die Zwillinge geboren. Ein Jahr später zog er endgültig aus. Inzwischen ist das Paar geschieden – und Nathalie P. steht mit den vier Kindern alleine da.
Sie selbst hatte ihre Ausbildung zur Rettungssanitäterin kurz vor der Prüfung abgebrochen, als sie mit 19 Jahren das erste Mal schwanger war. „Ich dachte mir, ich könnte ja später auch einen Job an der Kasse finden“, sagt sie. Eigene Arbeit zu haben und finanziell auf eigenen Füßen zu stehen – das ist für sie heute ein sehr ferner Traum. Ihr Alltag besteht ja fast ausschließlich aus den Kindern. Die häufigen Arztbesuche mit dem Großen, das Einkaufen, Kochen und Waschen. Sie muss die Kinder zum Sport bringen und Hausaufgaben kontrollieren. Ein ständiger Kraftakt: „Man muss eben immer funktionieren“, sagt sie.
Die Sozialarbeiterin, die sie betreut, beschreibt Nathalie B. als tatkräftige und engagierte Mutter, die eine ungemein positive Energie ausstrahle: „Ihre Belastung im Alltag ist jedoch immens, und es gibt Momente, in denen ihr die Probleme fast über den Kopf wachsen.“
Finanziell reicht es hinten und vorne nicht: „Ich lebe von Hartz IV“, sagt Nathalie P. nüchtern, „von 854,82 Euro im Monat.“ Dazu bekommt sie zwar noch Kindergeld und ein wenig Unterhalt, doch allein die Miete kostet 741 Euro. Eine kleinere Wohnung komme für sie jedoch nicht infrage; schließlich sollten nicht mehr als zwei Kinder in einem Zimmer schlafen.
„Ich muss jeden Cent zweimal umdrehen“, sagt Nathalie P. „Oft gibt es bei uns nur Suppen, und manchmal ist Nudelwoche.“ Einen richtigen Urlaub hat sie mit ihren vier Kindern noch nie gemacht. Ins Kino kommen die Kinder nur, wenn die Großeltern sie einladen. Wenn das Geld reicht, geht sie einmal im Monat mit den Kindern Pizza essen oder zu McDonald’s: „Damit sie auch mal was Schönes haben.“
Fragt man Nathalie P. nach ihren Wünschen für die Zukunft, spricht sie ausschließlich von der Zukunft ihrer Kinder. Vielleicht kann ihr Sohn mit dem Down-Syndrom einmal in einer WG leben. In den nächsten Monaten will sie mit den Zwillingen ins Kindertheater gehen, und mit den Großen in einen Freizeitpark – die Unterstützung durch die HAZ-Weihnachtshilfe macht das möglich. An sich selbst, sagt Nathalie P., könne sie denken, wenn die Kinder älter sind: „Vielleicht wird es dann ja was mit dem Job an der Kasse.“

Author: Jan Sedelies

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