Wie eine krebskranke Mutter für ihre Kinder kämpft: Ein Fall für die Weihnachtshilfe


„Das Heute ist ein Geschenk“: Ayse Yavuz hat in ihrer Wohnung einen Sinnspruch an der Wand, der gut auf ihre Situation passt. Foto: Kutter

Sie war lange im Krankenhaus gewesen. Wieder einmal. Doch als sie diesmal nach Hause kam, wartete eine Überraschung auf sie. Einer Bettnachbarin, eigentlich einer Zufallsbekanntschaft, hatte sie von ihrem Leben erzählt. Und während die beiden Frauen noch das Klinikzimmer teilten, hatte die Bettnachbarin heimlich die Wohnung von Ayse Yavuz renovieren lassen und ihr ein paar einfache Möbel gekauft. So sehr hatte ihr Schicksal sie gerührt. An die Wand ließ ihre Wohltäterin einen Sinnspruch schreiben: „Das Gestern ist Geschichte, das Morgen ist ein Rätsel, das Heute ist ein Geschenk“ steht dort. „Das passt genau auf meine Situation“, sagt Ayse Yavuz (Name geändert).

Gerade hat sie ihren 50. Geburtstag gefeiert. Natürlich nicht mit einem großen Fest, das könnte sie sich nicht leisten. Aber zwei Luftballons schweben noch unter der Decke in der kleinen, sauberen Wohnung irgendwo in der Region Hannover, in der sie mit ihren drei Kindern lebt. „Seit ich krank bin, begehe ich jeden Geburtstag ganz bewusst“, sagt die ebenso kluge wie resolute Frau, die ihr Leben in gewählten Worten reflektiert.

Was soll aus den Kindern werden?

Als Kind kam sie aus der Türkei nach Deutschland, ging zur Schule, machte eine kaufmännische Ausbildung. Ihre Lehrer ermutigten das intelligente Mädchen, das Abitur  nachzuholen; danach machte sie eine kleine Karriere und wurde Assistentin der Geschäftsleitung in einer großen Firma. Doch die Ehe mit ihrem Mann – kein Türke – scheiterte dramatisch, am Ende suchte sie Zuflucht in einem Frauenhaus und stand mit ihren Kindern allein da.

In Vitrinen und an den Wänden finden sich in der Wohnung viele Bilder ihrer Kinder. Inzwischen sind diese im Teenageralter. Der älteste Sohn hat das Asperger-Syndrom. Er geht – wie die beiden anderen auch – auf ein Gymnasium und hat gute Noten, aber im Alltag tut er sich oft schwer: „Brötchen holen, Einkaufen – das kann mit ihm zum Spießrutenlaufen werden“, sagt die Mutter. Zu viele Reize und zu große Menschenmengen überfordern ihn. Er grüßt Nachbarn nicht, kann keine Freundschaften aufbauen. „Die Situation ist sehr belastend, ich habe Angst vor der Zukunft“, sagt Ayse Yavuz. Was würde aus den Kindern werden, wenn diese irgendwann alleine zurechtkommen müssten?

Das Reden kostet Kraft

Diese Frage treibt Ayse Yavuz seit 2016 um. Seit bei ihr Brustkrebs diagnostiziert wurde. „Danach kam eine Hiobsbotschaft nach der anderen“, sagt sie. Nach der aufreibenden Scheidung war die zierliche Frau ohnehin auf 48 Kilogramm abgemagert. Nun kamen immer neue Untersuchungen, Bestrahlungen, die Amputation. Im Bereich der Halswirbelsäule stellte man Metastasen fest, mehrfach wurde sie operiert. Ihre Stimmbänder seien dabei verletzt worden, sagt sie, sie kann nur noch mit dünner Stimme sprechen, das Reden kostet sie Kraft. „Das Schlimmste aber war die Chemotherapie“, sagt sie. „Das ist die Hölle – danach ist man nur noch ein halber Mensch.“

Die Kinder mussten in dieser Zeit oft für sich selbst sorgen. Die drei redeten nicht viel darüber, was in ihnen vorging. „Eine Lehrerin sprach mich irgendwann darauf an, dass sie so still geworden wären“, sagt die Mutter. „Sie haben gelitten, aber sie haben es niemandem gezeigt, vor allem mir nicht.“

Als Ayse Yavuz vor einiger Zeit ihre Ärztin nach einer Prognose fragte, machte diese erst einmal eine lange Pause. „Mein Krebs ist nicht heilbar“, sagt sie selbst illusionslos. Längst ist sie dauerhaft erwerbsunfähig, permanent wird sie behandelt. Sie ist oft müde, hat Krämpfe und Schmerzen in Armen und Beinen. Sie hofft, dass sie die starken Medikamente, die den Krebs in Schach halten sollen, möglichst lange verträgt. Und jeden Tag versucht sie aufs Neue, das Heute als Geschenk aufzufassen, wie es in ihrem Wandspruch heißt.

Finanziell reicht es nicht

Zu all ihren existenziellen Sorgen kommen noch die Nöte des Alltags. Die Angst, dass irgendwann die Waschmaschine kaputt gehen und dass die Reparatur sie finanziell wieder einmal aus der Bahn werfen könnte. „Ich wünsche mir nicht nur Gesundheit, sondern auch Sicherheit“, sagt sie. „Ein finanzieller Puffer – das würde schon helfen.“

Ayse Yavuz bekommt eine kleine Rente, dazu Unterhaltsvorschuss und Kindergeld. Mit dem Sozialarbeiter, der sie betreut, hat sie einen Haushaltsplan aufgestellt. Zum Leben hat die Familie danach rund 200 Euro pro Woche – davon müssen unter anderem Lebensmittel, Kleidung und Telefonkosten für vier Personen bezahlt werden. „Sie ist sparsam, aber sie kommt damit nur knapp über die Runden“, sagt der Sozialarbeiter.

Im Urlaub war die Familie seit Jahren nicht mehr. Die Tochter schläft nicht in einem richtigen Bett, sondern auf einem Sofa. „Mein Ältester wünscht sich seit zwei Jahren ein Fahrrad, aber ich muss ihn immer wieder vertrösten“, sagt die Mutter. „Manchmal ist am Anfang des Monats schon das gesamte Geld verbraucht.“ 

Ständig fallen in den Schulen Extraausgaben an: Taschenrechner, Fahrkarten, Klassenfahrten. Die Kinder nicht mitfahren zu lassen, bringt die Mutter nicht übers Herz. „Vor den Ferien ist es schlimm, weil sie da immer Ausflüge machen – und nach den Ferien, weil dann Schulsachen gekauft werden müssen“, sagt Ayse Yavuz. Man spürt, wie schwer es auf ihr lastet, dass die Kinder neben ihrer Krankheit auch noch die Armut erdulden müssen. „Dabei habe ich noch Glück gehabt“, sagt sie selbst. „Ich habe bescheidene Kinder.“

Von Simon Benne

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Author: Jan Sedelies

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