Ein neuer Fall für die Weihnachtshilfe: Ein Kämpfer stößt an Grenzen


Christoph Kramer ist von Geburt an behindert – und wünscht sich einen speziellen Elektro-Rollstuhl, um an Mobilität zu gewinnen. Foto: Kutter

Christoph Kramer ist behindert – und hat aus seinem Leben in bewundernswerter Weise das beste gemacht. Jetzt braucht er einen speziellen E-Rollstuhl, um mobil zu bleiben. Ein Fall für die HAZ-Weihnachtshilfe. 

​Es gibt Menschen, die würden in seiner Situation verzweifeln. Viele würden sich selbst aufgeben oder bitter werden. Doch Christoph Kramer (Name geändert) gehört nicht dazu. „Ich bin Spastiker“, sagt der Mann im Rollstuhl ruhig. Wegen eines Hirnschadens kann er Arme und Beine von Geburt an kaum bewegen. „Eventuell hatte meine Mutter während der Schwangerschaft eine Krankheit, so genau weiß man das nicht – damals war die Medizin ja noch nicht so weit wie heute“, sagt der 60-Jährige.

Christoph Kramer sitzt in seiner kleinen Wohnung. Seine abgewinkelten Hände hält er während des gesamten Gespräches regungslos vor dem Bauch. An der Wand hat der glühende Gladbach-Fan eine grüne Borussia-Fahne, im Regal stehen DVDs von Filmklassikern. Und auf dem Tisch liegen dicke Aktenordner, die seine Kämpfe dokumentieren.  Über seine Behinderung spricht Kramer ohne jedes Selbstmitleid. Doch er benennt auch klar, welche Behinderungen ihm von anderen zusätzlich auferlegt wurden.

„Heftige Jahre im Heim“

Er wuchs in Lingen auf, doch eingeschult wurde er in Hannover, im Annastift. Anfangs konnte das Kind nur an den Wochenenden nach Hause, zu seiner Oma und seiner Mutter. Später zog seine Mutter dann nach Hannover, um in der Nähe ihres Sohnes zu sein. „Nach der Schule kam ich in ein Heim und sollte in einer Behindertenwerkstatt arbeiten – ein Mitspracherecht hatte ich dabei praktisch nicht“, sagt er. In der Werkstatt war der intelligente und wortgewandte junge Mann unterfordert. „Das waren aus meiner Sicht stupide Tätigkeiten, die nur dazu dienten, Zeit totzuschlagen“, sagt er. „Eines Tages bin ich da nicht mehr hingegangen.“

Auch das Leben im Heim war für ihn nicht das richtige. „Das waren heftige Jahre“, sagt er nur. Gegen alle Widerstände machte er seinen Hauptschulabschluss nach. „Einen Beruf konnte ich dann aber leider nicht ergreifen“, sagt er. Das Arbeitsamt habe eine Ausbildung nicht finanzieren wollen; auf dem Arbeitsmarkt sah man für ihn keine Chance. Der Gedanke der Inklusion spielte damals noch keine Rolle. Behinderte wurden versorgt – doch ihnen gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, galt fast als abwegig. Man darf hoffen, dass ein Mann mit Christoph Kramers Fähigkeiten heute bessere Chancen hätte.

„Ich musste mich ein Leben lang durchkämpfen“, sagt Kramer nüchtern und ohne Groll. Er kämpfte darum, aus dem Heim ausziehen zu können. Er kämpfte mit den Pflegediensten, die ungeeignete Zivildienstleistende zu ihm schickten. Er diskutierte mit der Sozialarbeiterin, die ungläubig fragte, ob einer wie er überhaupt lesen könne. Und oft setzte er sich durch.

Auf eigenen Füßen

Im Jahr 1985 durfte er das ungeliebte Heim endlich verlassen, am 1. Februar – das Datum hat er so präsent wie seinen Geburtstag. Seither lebt er in seiner barrierefreien kleinen Wohnung in der Region Hannover. Als Arbeitgeber beschäftigt er 24-Stunden-Assistenten, die ihm im Alltag zur Hand gehen – beim Duschen, Anziehen oder Kochen. Das Geld dafür kommt von Pflegekasse und Sozialamt. „Ich stehe ganz gut auf eigenen Füßen“, sagt er selbst zufrieden. Kürzlich war er in einem Restaurant und auf dem Weihnachtsmarkt. Regelmäßig ist er in seinem Verein: „Ich bin ein ganz passabler Schachspieler“, sagt er bescheiden. An der Wand hängen Urkunden von Turnieren. Christoph Kramer hat gezeigt, was man auch mit Einschränkungen aus einem Leben machen kann. Doch jetzt gibt es etwas, das ihn belastet.

Sein zehn Jahre alter E-Rollstuhl funktionierte schon seit Langem nicht mehr richtig. Bereits 2016 hat er bei der Krankenkasse einen neuen beantragt; einen mit eingebautem Hublift. Die Hebefunktion kann Kramers Sitzhöhe variieren. So könnte er auch an höheren Tischen sitzen, sein Assistent könnte ihn leichter ins Bett legen oder waschen. Inzwischen hat der alte E-Rollstuhl, den er über einen Kugelknauf mit der rechten Hand steuern konnte, ganz den Geist aufgegeben.

Kampf mit der Krankenkasse

„Bisher konnte ich mich in der Wohnung und draußen selbstbestimmt bewegen – jetzt muss ich mich immer schieben lassen“, sagt Kramer. Der neue E-Rolli kostet mehrere Tausend Euro. Doch Kramers Krankenkasse stellte sich quer und weigerte sich, dafür zu zahlen. Ihre Argumentation: Weil der Behinderte mit seinen Händen nicht greifen kann, könne er sich beispielsweise im Supermarkt ohnehin nicht selbst etwas aus dem Regal nehmen und sei sowieso auf einen Assistenten angewiesen. „Dabei wäre der höhenverstellbare E-Rolli auch für den Assistenten eine große Erleichterung“, sagt Kramer.

Der kämpferische Mann zog vors Sozialgericht und gewann den Prozess, die Kasse sollte die Kosten für den E-Rolli übernehmen. Diese ging jedoch in Berufung, und im November kam es vor dem Landessozialgericht zu einem Vergleich: Christoph Kramer muss nun einen Anteil von 750 Euro aus eigener Tasche bezahlen. „Ich habe mich damit abgefunden“, seufzt er. Irgendwann ist auch der robusteste Kämpfer am Ende seiner Kräfte. „Aber für mich ist das viel Geld.“

Christoph Kramer lebt von Grundsicherung und einem Zuschlag für Schwerbehinderte; im Monat hat er weniger als 500 Euro zum Leben. „Damit kann man keine großen Sprünge machen“, sagt er. Im Urlaub war er seit Jahren nicht, und schon lange würde er sich gerne einen guten Großbildfernseher kaufen, um die Fußballspiele besser sehen zu können. Doch so etwas ist nicht drin.

„Schweren Herzens hatte ich mich schon dazu durchgerungen, meine Mutter um etwas Geld zu bitten“, sagt der 60-Jährige. Dann jedoch erfuhr er von der HAZ-Weihnachtshilfe – und stellte einen Antrag auf Unterstützung bei Hannovers größter Hilfsaktion für Menschen in Not. Der E-Rolli ist inzwischen bestellt. „Er wird wohl im Januar geliefert“, sagt Kramer. Er lächelt. Wie jemand, der weiß, dass er seine Kämpfe nicht ganz allein ausfechten muss. 

Von Simon Benne

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Author: Jan Sedelies

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