Ein neuer Fall: Frau Fricke und ihre Angst vor dem Winter

Nach 32 Jahren wurde Cornelia Fricke arbeitslos. Heute wohnt die 61-jährige in einer kleinen Hütte und ist auf Lebensmittel von der Tafel angewiesen. Nun sinken die Temperaturen – ihre Heizung ist kaputt. Ein Fall für die HAZ-Weihnachtshilfe.

Der kleine Gartenzwerg, der vor ihrer Haustür steht, lächelt einladend. Doch an seinen Seiten platzt die Farbe ab, und im Rücken der Figur klafft ein großes Loch. Cornelia Fricke (Name geändert) wohnt alleine in einer Art Laube, einem kleinen Holzhaus irgendwo in der Region Hannover. „Es ist in Ordnung, alleine zu leben“, sagt die 61-Jährige und krault die Katze, die ihr zugelaufen ist. „Früher hätte ich mir das nicht vorstellen können, aber man muss eben alles nehmen, wie es kommt.“ 

Die dünne Frau mit den kurzen Haaren stammt aus Hessen. Sie war die jüngste von drei Kindern, die Mutter war Lehrerin, der Vater Beamter. „Ich hatte eine bürgerliche, behütete Kindheit“, sagt sie, „wir lebten in einem Haus am Stadtrand und hatten immer Tiere.“

Auch im Haus trägt sie Jacke

Manchmal denkt sie daran zurück, doch dann holt die Gegenwart sie rasch wieder ein. Die Küche in ihrer Laube ist winzig, die Decke so niedrig, dass man teils kaum aufrecht stehen kann. Ihr Sessel ist abgewetzt, die grauen Teppiche sind ausgetreten. Dass jetzt auch noch die Heizung  kaputt ist, macht ihr große Sorgen: „Wenn der Winter hart wird, kann es hier schnell kalt werden“, sagt sie. Derzeit heizt sie provisorisch mit einer Gasflasche, die im Wohnzimmer steht. Abends, wenn es kühl wird, trägt sie ihre warme Jacke auch im Haus.

Nach der Realschule hatte sie eine Ausbildung zur Industriekauffrau gemacht und früh geheiratet. Als ihr Mann eine Stelle in Hannover bekam, zogen sie in eine Wohnung in Vahrenwald und später nach Empelde. „Es ging uns finanziell gut“, sagt sie. Ihr Mann hatte Arbeit, sie selbst auch. „Wir hatten zeitweise sogar zwei Autos und konnten in Urlaub fahren.“ 

Dann verließ ihr Mann sie, und  Fricke blieb mit dem gemeinsamen Sohn allein. „Verreisen war da schon nicht mehr drin, aber wir konnten noch ganz gut leben“, sagt sie. Schließlich hatte sie ihre feste Stelle.

„Ich war sehr glücklich“

„Arbeit hat mir immer Spaß gemacht, ich war bei meiner Firma sehr glücklich“, sagt sie.  Fricke macht nicht viele Worte um ihr Leben und um ihre Lage, aber wenn sie wie von ihrer früheren Firma spricht, blüht sie auf. „Ich war dort Sachbearbeiterin“, sagt sie, „ein Job am Schreibtisch mit Abrechnung, Ablage und Kundenkontakten.“ Dann fusionierte der Betrieb, es gab Entlassungen. Nach 32 Jahren bekam sie eine betriebsbedingte Kündigung. „Von einem Tag auf den anderen wurde alles anders“, sagt sie. 

Cornelia Fricke bekam eine stolze Abfindung, rund 33.000 Euro. „Damals habe ich eine Woche Urlaub in der Türkei gemacht.“ Sechs Jahre ist das jetzt her, und es war ihre bislang letzte größere Reise. Sie blieb lange arbeitslos, die Abfindung war ganz ohne Prasserei irgendwann aufgezehrt. Der Weg in die Armut verläuft oft geräuschlos und schnell. „Inzwischen lebe ich von Hartz IV“, sagt sie. 

Nach fast fünf Jahren meldete sich auch noch das Finanzamt bei ihr und forderte mehr als 9000 Euro. „Ich hatte nicht gewusst, dass ich die Abfindung versteuern muss“, beteuert die in finanziellen Dingen eher unbeschlagene Frau, „ich war mir sicher, das macht der Arbeitgeber, wie beim Lohn doch auch.“ Eine realistische Aussicht, ihre Schulden je bezahlen zu können, hat sie nicht.

Zum Leben bleiben 260 Euro

„Frau Fricke ist sehr bemüht, mit geringen Mitteln auszukommen und schränkt sich in allem sehr ein“, sagt die Sozialarbeiterin, die sie beim Umgang mit den Schulden berät. Und trotzdem wird es oft knapp. Vom Jobcenter bekommt die 61-Jährige rund 800 Euro im Monat. Sie rechnet vor, wie viel an festen Kosten für Miete oder Telefonrechnung davon abgeht: „Am Ende müssen mir 260 Euro zum Leben reichen“, sagt Cornelia Fricke.

Die handfeste Frau neigt nicht zum Klagen. Über die Jahre hat sie gelernt, hauszuhalten und sich mit dem wenigen zu arrangieren, das sie hat. Nur wenn das Gespräch darauf kommt, erzählt sie, dass die neue Jeans im Frühjahr schon eine größere Investition für sie war. Dass ihre Pullover teils etliche Jahre alt sind. Dass sie sich im Supermarkt nur Sonderangebote leisten kann. 

„Die Tafel hilft viel“, sagt sie dankbar. Bei der Lebensmittelausgabe für Bedürftige bekommt sie Yoghurt und Würstchen. „Einmal habe ich ein ganzes Huhn gekriegt“, erzählt sie. Einen Moment hält sie inne: „Früher habe ich nie darüber nachgedacht, mit wie wenig man im Leben ausgekommen kann“, sagt sie dann.Ihr Wunsch: eine neue Brille

Vor einiger Zeit schien eine Wende greifbar nahe. Cornelia Fricke bekam einen Job in einem Callcenter, über eine Zeitarbeitsfirma. „Das hat mir Spaß gemacht“, sagt sie. Doch nach einem dreiviertel Jahr stürzte sie mit dem Fahrrad, brach sich ein Bein, war sechs Wochen lang krank. „Danach wurde der Vertrag nicht verlängert.“ 

Sie hofft noch immer auf einen Job. „Aber derzeit ist es besonders schwierig, gerade wenn man über 60 ist.“ Es gibt Tage, an denen sie depressiv sei, sagt sie. Tage, an denen ihre Genügsamkeit nicht mehr trägt und ihre Kunst, sich mit den Verhältnissen zu arrangieren, an ihre Grenzen stößt. „Dann geht mir alles auf den Wecker“, sagt sie. 

Fragt man Fricke aber, welchen Traum sie hat, muss sie lange überlegen. Die Heizung, sagt sie dann. Dass die Heizung vor dem Winter in Ordnung kommt. „Und ich bräuchte wohl mal eine neue Brille, mit meiner kann ich nicht mehr richtig gucken“, sagt sie dann noch. Es sind bescheidene Wünsche einer bescheidenen Frau.

Von Simon Benne

Author: Jan Sedelies

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