Der Artikel erschien am Sonnabend vor dem ersten Advent – und er erschütterte die Stadt. Die Journalistin Angelika Kröncke berichtete in der HAZ vom Schicksal der Rentnerin Auguste Hofschneider, die seit 38 Jahren ihren schwerbehinderten Sohn pflegte.
Als Baby hatte der Junge Krämpfe bekommen, die sie selbst auf die Schrecken bei Luftschutzübungen während des Krieges zurückführte. Er hatte nie richtig sprechen gelernt. Meist lag er im Bett, seine Mutter las dem 38-Jährigen Kinderbücher vor.
„Stecken Sie den Bengel doch in ein Heim, dann sind sie ihn los“, hätten Bekannte ihr gesagt. Doch das brachte sie nicht fertig. Obwohl sie mittlerweile 76 Jahre alt und selbst hilfsbedürftig war, versorgte sie ihren Sohn weiter unter widrigsten Bedingungen daheim – und lebte mit ihm in stiller Armut: „Fleisch können wir uns nicht leisten“, bekannte sie.
Eine Welle der Solidarität
Der Artikel erschien am 29. November 1975. Das Datum ist seither so etwas wie der Geburtstag der HAZ-Weihnachtshilfe, die in diesem Jahr zum 50. Mal über die Bühne geht. Die Reportage löste damals eine Welle der Solidarität aus. Hunderte von Leserinnen und Lesern boten spontan Hilfe an, schrieben Briefe, schickten Geld oder Pakete. Auguste Hofschneider bekam einen Rollstuhl für ihren Sohn geschenkt, ein Pastor hielt eine Sonderkollekte für sie, 13-jährige Mädchen sammelten an Haustüren Spenden.
Im Advent berichtete die HAZ in jenem Jahr noch mehrfach von Menschen in Not. Da war die 77-jährige, deren Bein im Ersten Weltkrieg verletzt worden war und die ihre Wohnung nicht heizen konnte, weil sie kein Geld für Kohle hatte. Da war der Tankwarthelfer, der nach dem Tod seiner Frau die Kinder alleine durchbringen musste. Da war die Masseurin, die nach einer Beinamputation keine Stelle mehr fand.
Mehr als 36 Millionen Euro
All diese Geschichten öffneten vielen die Augen dafür, wie groß die Not auch in ihrer eigenen Nachbarschaft war. Die HAZ rief von Anfang an auch dazu auf, Geld auf ein Spendenkonto bei der Sparkasse einzuzahlen, die seit jeher ein fester Partner bei der Aktion ist. Binnen drei Wochen waren 1975 schon fast 40.000 Mark eingegangen.
Bereits im Spätsommer 1975 hatten sich Lokalredakteure der HAZ mit Sozialarbeitern der städtischen Familienhilfe getroffen. Gemeinsam wollten sie nach unbürokratischen Möglichkeiten suchen, Menschen in Not zu helfen.
Über die Jahre erwuchs daraus die größte Hilfsaktion in der Region Hannover. Bis zum Start der aktuellen Saison kamen dabei genau 36.035.064,84 Euro für Menschen in Not zusammen. Allein in der Saison 2023/24 gingen 8337 Spenden in einer Gesamthöhe von mehr als 1,5 Millionen Euro bei der HAZ-Weihnachtshilfe ein.
Kein Geld für eine Waschmaschine
Oberbürgermeister Belit Onay sieht darin ein Stück gelebte Solidarität: „Die HAZ-Weihnachtshilfe ist ein tolles Projekt und eine feste Größe der sozialen Hilfsangebote in unserer Stadt“, sagt er.
Die HAZ arbeitet dabei eng mit dem Fachbereich Soziales der Landeshauptstadt zusammen. Dort gehen Anträge ein, die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter verschiedener Hilfseinrichtungen gemeinsam mit dem Bedürftigen stellen. Jeder Antrag wird überprüft – und Jahr für Jahr bekommen so Hunderte von Menschen ein wenig Unterstützung.
Im Schnitt erhalten sie derzeit gut 600 Euro. Häufig benötigen sie das Geld für Möbel oder Hausrat. Oft könnten sie sich eine neue Waschmaschine oder einen Kühlschrank sonst schlicht nicht leisten.
„Die Weihnachtshilfe hilft so vielen Menschen, die zu wenig haben“, sagt Hannovers Stadtsuperintendent Rainer Müller-Brandes. „Zigtausend Spenderinnen und Spender sorgen dafür, dass die Welt bei ihnen ein wenig heller wird – etwas Schöneres kann es in der Adventszeit eigentlich kaum geben.“
Punktgenaue Hilfe
Oft kommen bei Betroffenen mehrere Faktoren zusammen: Menschen, die teils schon in schwierigen Verhältnissen aufwuchsen, werden durch Krankheiten oder Schicksalsschläge aus der Bahn geworfen. Manchmal gehen berufliche Probleme einher mit Alkoholkonsum oder zerbrochenen Beziehungen. Armut hat viele Gesichter. Hilfsbereitschaft allerdings auch.
So backen seit Jahren Schulklassen Kekse zugunsten der HAZ-Weihnachtshilfe. Regelmäßig gibt es Benefizkonzerte, Firmen stellen großzügige Schecks aus. Manchmal bitten Ehepaare bei ihrer Goldenen Hochzeit um Spenden anstelle von Geschenken – auf das Spendenkonto kann das ganze Jahr über eingezahlt werden.
Zum Profil der Aktion gehört es, dass die Spende ohne Abzug von Verwaltungskosten punktgenau dort ankommt, wo sie gebraucht wird. „In der Region Hannover hilft man sich und ist füreinander da – das zeigt die Weihnachtshilfe jedes Jahr“, sagt Regionspräsident Steffen Krach.
Krach ist der Aktion übrigens bereits seit 1991 verbunden. Als Zwölfjähriger gab er mit einigen Freunden damals kleine Keyboardkonzerte – und sammelte Geld. Bei der Aktion, über die die HAZ damals auch berichtete, kamen mehr als 500 Mark zusammen.
Von Simn Benne